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ERP-Systeme für Molkereien – Sieben Fragen, sieben Antworten

17 Minuten

Ein ERP-System ist das zentrale Nervensystem von Molkereien. So weit, so gut. Doch bei der Auswahl eines ERPs gibt es einige wichtige Punkte zu beachten, die weit in die Zukunft hineinreichen.

Die Entscheider in den Molkereien müssen in ihrem Business immer mehr Faktoren berücksichtigen. Wie in kaum einer anderen Branche ist die Produktion Einflüssen von außen unterworfen: Faktoren wie schwankende Preise und Nachfrage, die gesellschaftlichen Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit und Transparenz, höhere Ansprüche an Qualitätssicherung oder veränderte Umweltbedingungen zwingen die Milchindustrie zu teilweise sehr kostenintensiven Veränderungen. Dabei ist das Tagesgeschäft schon kompliziert genug. Denn die Molkereien müssen darauf achten, ihren Deckungsbeitrag zu sichern, indem sie die Produktionskosten optimieren. Und wer kundenorientiert und flexibel produzieren und damit wettbewerbsfähig bleiben will, der kommt letztlich um eine permanente Digitalisierung nicht herum.

Doch genau hier liegt das Problem: wie, mit welchen Lösungen und vor allem: wie kann man die klassischen Probleme vermeiden. Letztlich sind es oft dieselben sieben Fragen, die mir viele Unternehmenslenker, IT- oder Werksleiter stellen.

Neun Kriterien für eine erfolgreiche ERP-Auswahl  Ein ERP-System für die Prozessindustrie muss einige Kriterien erfüllen – aber  welche? Worauf müssen Sie bei der Auswahl achten und wie gehen Sie die  Implementierung richtig an? Unser Leitfaden hilft Ihnen hierbei weiter.  Jetzt herunterladen

1. Warum sind so viele Molkereien mit Ihren IT-Lösungen unzufrieden?

Es gibt einen Branchenklassiker: Neue, branchenunspezifische ERP-Systeme werden nach der Implementierung häufig über einen längeren Zeitraum angepasst und individualisiert, da die Standard-Systeme der Industrie den ursprünglichen oder sich entwickelnden Anforderungen in der Molkerei nicht gerecht wurden. Was passiert dann?

Es wird immer aufwändiger, die Updates der ERP-Systeme an die maßgeschneiderte, eigene Lösung anzupassen. Und irgendwann geht das gar nicht mehr. Viele Unternehmen wählen dann den Ausweg, notwendige Funktionen in andere IT-Lösungen auszulagern. Das Ergebnis ist ein Wust aus Systemen und Unzufriedenheit bei der IT und der Geschäftsleitung.

2. Was ist besser beim ERP: Komplettsoftware oder "best of breed"?

Mit anderen Worten, das Unternehmen ist lange den Weg der Spezialsoftware gegangen. Im Detail heißt das: Der Vertrieb setzt auf ein besonders effektives CRM-System zur Neukundengewinnung, die Buchhaltung auf eine umfassende Finanzsoftware, eine spezielle Molkerei-Branchenlösung kommt für die Kalkulation zum Einsatz und das ERP-System kümmert sich nur noch um die Waren- und Materialwirtschaft. Sicher sind spezialisierte Lösungen sehr leistungsfähig und bieten interessante Features. In der Regel aber sind sie in Summe teurer in der Anschaffung und auch die Kosten für die Implementierung, für Wartungen und für Schulungen der Mitarbeiter liegen höher.

Entscheidend ist aber die Frage: Brauchen Sie eine derart umfangreiche, komplexe Lösung überhaupt für Ihre Aufgabenstellung? Was auf den ersten Blick wie eine effiziente Lösung mit optimierten Anwendungen für den jeweiligen Bereich aussieht, stößt in der täglichen Arbeit auch schnell an Grenzen. Alle diese Systeme müssen gepflegt und aktuell gehalten werden. Sie erfordern mehrfache Datenhaltung und brauchen auch immer eine zuverlässige Verknüpfung mit anderen Systemen.

Was häufig passiert: Datensilos. Konkret heißt das, die Daten stehen nur in einer Anwendung zur Verfügung, andere mögliche Nutzer haben keinen Zugriff (oder zumindest nicht in Echtzeit) oder wissen gar nicht, dass es diese Informationen gibt. Die unterschiedlichen IT-Systeme werden – wenn überhaupt – aufwendig über Schnittstellen und Systemintegratoren verknüpft, aber die Integrationstiefe ist nicht sonderlich groß. Daten aus allen Systemen, insbesondere aus Qualitätsmanagement und Produktion müssen in mühseliger Handarbeit aus den verschiedenen Anwendungen oder Excel zusammengetragen und dann in Bezug gesetzt werden. Effizient ist anders.

Man hat zwar die Aufgaben zunächst gelöst, aber es besteht die Gefahr, die Probleme nur zu verschleppen. Das wahrscheinliche Resultat ist eine heterogene und irgendwann schwer administrierbare und bezahlbare IT-Landschaft aus vielen einzelnen IT-Lösungen.

Die Frage nach Best of Breed oder Komplettsystem geht am Punkt vorbei. Letztendlich ist die Frage, welches der Systeme die optimale Kombination aus individuellen Anpassungen und einfacher Maintenance bietet. Das kann Best of Breed sein, das kann aber auch ein Branchen-ERP sein.

3. Warum gewinnt eine Standardlösung meistens gegen eine Individual-Lösung?

Die Idee der Standard-Software ist es, den Bedarf möglichst vieler Anwender abzudecken. ABER eine ERP Lösung beispielsweise für den Maschinenbau kann nicht die Anforderungen, die ein Nahrungsmittelbetrieb oder eine Molkerei hat, abdecken. Lebensmittelferne Industrie-ERP-Systeme setzen Individuallösungen, Installation, Datenmigration, Anpassungsprogrammierungen, Wartungsverträge und Nutzerlizenzen voraus – und das kostet.

Eine schon grundsätzlich auf die lebensmittelspezifischen Anforderungen aufgebaute Lösung löst dieses Problem. Es ist auch nicht die Frage, ob ein System modular aufgebaut ist. Das muss es sein, da nicht alle Molkereien die gleichen Module in der Erstimplementierung benötigen. Es ist aber sehr wohl die Frage, ob das System in anderen Lebensmittelbereichen mit vergleichbaren Anforderungen eingesetzt wird und durch Anpassungen in der Parametrierung für Ihren Molkereieinsatz eingestellt werden kann. Gute Bespiele sind hier Produktentwicklung und Rezepte und Stücklisten, die in vielen Fällen in der Nahrungsmittelindustrie oder Kosmetik ähnlich sind. Warum nicht das Know-how und erfolgreiche Best Practice Lösungen aus der Milchwirtschaft und ähnlichen Branchen nutzen, die Ihrem Unternehmen ebenfalls helfen können? Warum nicht über den Tellerrand schauen, wo ähnliche Anforderungen bereits erfüllt wurden?

Noch einfacher, wenn die immer wieder aktualisierten und ergänzenden Leistungen, die die Molkereibranche fordert, in einem System bereits implementiert sind, um dann allen Nutzern der Molkereibranche zur Verfügung zu stehen. Damit können Sie Entscheidungen auf zuverlässigen Echtzeitinformation treffen, effizienter bei niedrigeren Produktionskosten arbeiten und zugleich Qualitätsnormen und Rückverfolgbarkeit für den Exporterfolg erfüllen. Eine flexible Produktionsplanung umfasst auch Ressourcen- und Rohstoffmanagement und gleicht so Marktschwankungen aus.

Das stellt einen hohen Zukunftswert und eine gesicherte Investition dar, denn mit den Lösungen in einem „Standard“ haben Sie den Vorteil, die Prozesse und Produktion so zu digitalisieren, dass die Software nicht verändert werden muss und die Lösung Release-fähig bleibt.

4. Warum ist Integration beim ERP der wichtigste Erfolgsfaktor?

Wenn Sie Vollintegration und ERP bei Google eingeben erhalten Sie (Stand 25.11.2021) 19.100 Ergebnisse. Wenn Sie das alles gelesen haben, wissen Sie vermutlich viel über allgemeine Features, Prozesse und vielleicht sogar Anbieter, aber weiter gekommen sind Sie meines Erachtens leider nicht.

Eine Vollintegration bedeutet aus Sicht einer Molkerei: Die Software liefert alle notwendigen Programme im Standard mit. Und damit meine ich nicht nur die klassischen Module (WaWI: Beschaffung, Bedarfsermittlung, Logistik und Lagerung, Produktions-ERP plus: Materialwirtschaft, Vertrieb, Personalwesen, Finanz- und Rechnungswesen, Marketing, Controlling), sondern auch die lebensmittelspezifischen Komponenten wie PPS Produktionsplanung und- steuerung, Rückverfolgung, Kennzeichnung, MES, QM/QS, Zertifizierungsmanagement (Auditierung) und Linecontrol, um hier nur einige zu nennen. Dazu kommen natürlich auch die molkereispezifischen Module wie Milchgeldabrechnung und Bilanzierung.

Was man sich damit spart, ist ein relativ aufwändiges Ergänzen eines Industrie-ERP Systems und damit die Integration über APIs und Schnittstellen. Viel Mühe, Kosten und Ärger fallen so einfach weg, denn alles wird integriert geliefert. Natürlich muss es immer noch Schnittstellen geben – ein paar individuelle Lösungen werden Sie vermutlich behalten – aber nur da wo notwendig und dann auch möglichst im Standard.

5. Warum führt der erste Blick nicht unbedingt zur richtigen Lösung?

Keiner kauft ohne eine Lieferantenanalyse. Das sind die Basics. Bei weiterreichenden Investitionsentscheidungen, wie der in ein ERP System, ist es aber unabhängig von nackten Zahlen und Informationen sehr wichtig ob der Lieferant oder Dienstleister auch in Zukunft das Potential hat, die Lösungen nicht nur auf dem Stand zu halten, sondern auch weiter zu entwickeln.

Binden Sie den Einkauf frühzeitig in Ihre Projekte ein, aber klären Sie schon vorher Ihre Anforderungen sehr umfänglich. Ein Preisvergleich (basierend oft auf noch nicht einmal vergleichbaren Userzahlen wie Named oder Concurrent User) ist nur ein Faktor, denn hier wurden die Schnittstellen und vielleicht auch vertikale Integration noch gar nicht beachtet – und das könnte die Kosten signifikant steigern. Versuchen Sie also, alle Kostenfaktoren zu berücksichtigen, denn sonst verpassen Sie einige Chancen. Oder wollen Sie einen potenten Anbieter/Dienstleister nur deshalb aus dem Rennen nehmen, weil er scheinbar auf den ersten Blick zu teuer erscheint?

6. Warum ist der Besuch bei Referenzkunden so wichtig?

Ja, es geht fast nicht ohne. Referenzbesuche sind ein ganz wichtiger Punkt, wenn nicht sogar der wichtigste für eine Vorauswahl potentieller Lieferanten. Sie wollen doch wissen, wie die Lösung in der Praxis funktioniert.

Sprechen Sie mit den Marktplayern, die Molkerei-ERP können. Lassen Sie sich die aktuellen, neusten Referenzen zeigen. Und dann gehen Sie auf Reisen. Der Anbieter muss nicht dabei sein, es sein denn Sie wollen es. Der Referenzkunde soll ja offen über das Produkt berichten, einen Aufpasser braucht es da nicht. Nehmen Sie sich mindestens einen ganzen Tag Zeit, schauen Sie sich die Lösungen an und stellen Sie alle Fragen, beziehen Sie alle Akteure im Unternehmen mit ein. Ich weiß aus Erfahrung: Ein Referenzkunde wird Ihnen reinen Wein einschenken, in einem Tag erfahren sie viel über die Lösung, den Anbieter, die Herausforderungen und auch die Chancen einer Lösung.

 7. Warum ist die Ist-Analyse ein wichtiges Element bei der Anbieterwahl? 

Wie finden Sie also einen Anbieter, mit dem Sie tatsächlich ein Konzept entwickeln können? Hier kommt man recht schnell zu einem Knackpunkt: Lassen Sie sich nicht von irgendwelchen Zusagen auf dem Papier stehen (egal wie Bits- und Bytes-lastig) täuschen. Das sind alles interessante Punkte, aber meist nicht der K.O. Punkt für Ihre Entscheidung. Denn versprechen kann man vieles, aber die Umsetzung ist letztlich entscheidend. Hinterfragen Sie diese Realität im Referenzbesuch und auch in der unbedingt empfehlenswerten Ist-Analyse.

Die Ist-Analyse Ihres Prozesses durch einen potentiellen Anbieter gibt Ihnen die Chance die Qualität des Anbieters wirklich kennen zu lernen und das Know-how und Best Practices Lösungen aus realen Projekten zu hinterfragen. Jetzt merken Sie sehr schnell, ob dies der Partner ist, mit dem Sie die notwendigen Veränderungsprozesse umsetzen können.

Ein solider Anbieter wird Ihnen in dieser Phase auch offen aufzeigen, welche Entwicklungsmöglichkeiten Sie über den Ist-Zustand hinaus haben. Achtung: Häufig werden im ERP-Bereich nur die klassischen WaWI-Module hinterfragt. Die Prozesse sollten aber offen in allen Abteilungen angesprochen werden. Was zeigen Ihnen Ihre Mitarbeiter auf? Was ist nicht gut, fehlt, läuft nicht optimal? Wo muss nachgearbeitet werden? Ein kompetenter Anbieter wird diese Punkte als Berater, Moderator und Fragesteller aufnehmen und in folgenden Detail-Workshops im Detail klären.

Vor dem Hintergrund von Industrie 4.0 sollte man über diese kaufmännischen Themen hinaus die Produktion unter die Lupe nehmen. Häufig setzt man hier auf Middle Ware-Lösungen wie MES, ohne über die weitere Verarbeitung dieser Daten („Silos“) nachzudenken. Die immer umfangreiche Anbindung und Datenaustausch der Produktionssysteme machen unbedingt auch eine Analyse aller Produktionsdaten erforderlich. Nur Details und genau zu definierende Schnittstellen für die bestehenden SCADA-Systeme, Stand-Alone Anlagen; Waagen, Etikettierer und Sensoren kann man später noch aufnehmen. Natürlich gibt es individuelle Unterschiede: Während für eine Molkerei in der Produktion aktuell nur das Röntgeninspektions-System oder Drucker wichtig sind, kann eine andere Molkerei schon von einer umfangreichen Produktionssteuerung mit Datenaustausch (Plan/Ist-Daten) profitieren.

Vermeiden Sie die Auswahl potentieller Lieferanten nur aufgrund von Papier- und Datenkriterien. Dies hätte nur Enttäuschungen darüber, dass Projekte später nicht im Umfang, der Qualität und im geplanten zeitlichen Verlauf und geplante spätere Teilprojekte gar nicht umgesetzt werden können, zur Folge. Eine Ist-Analyse mag aufwändig sein, aber sie gibt Ihnen die Chance Ihre Projektplanung und die geplanten Auswahlszenarien zu überdenken und die Qualität deutlich zu verbessern.

 

Fazit

Es kostet Zeit, einen Anbieter zu finden, der auf die Anforderungen und Bedürfnisse der Molkereiunternehmen ausgerichtet ist – Zeit für Referenzbesuche, Ist-Analyse und Gespräche. Aber es lohnt sich: Von einem spezialisierten ERP-Dienstleister erhalten Molkereien neben ERP-Beratung auch ein individuell zugeschnittenes Konzept und eine ERP- und Digitalisierungsstrategie, die eine erfolgreiche Umsetzung des Projektes ermöglicht. Sie sollten Ihre perspektivischen Anforderungen schon klar bei der Auswahl eines potentiellen Lieferanten berücksichtigen. Mit einem einmal installierten ERP-System werden Sie 10, 15 Jahre oder länger arbeiten. Dazu ist aber nicht nur eine permanente Weiterentwicklung des ERP-Systems z.B. über Releases notwendig, sondern die grundsätzliche Fähigkeit zur vertikalen Integration.

China setzt derzeit mit dem Projekt „Made in China 2025“ Maßstäbe für alle Molkereien. Hierzulande werden dieselben Veränderungen eher Step by Step umgesetzt, denn sie müssen sich dabei auch rechnen. ABER wenn die Frage nach der Profitabilität positiv beantwortet ist, sollten Sie nicht mehr zögern!